TV-Tip: Time Team
Man sollte meinen, daß Archäologie etwas Verstaubtes, Altmodisches und Langweiliges an sich hat und kein gutes Thema für eine interessante Dokumentation ist, aber seit über anderthalb Jahrzehnten beweist der britische Privatsender Channel 4 mit Time Team das Gegenteil. Der Komiker und Amateur-Archäologe Tony Robinson begleitet in jeder Sendung ein Team von Profis, die in nur drei Tagen ein archäologisches Rätsel mit einer Ausgrabung lösen – ein Konzept, das zu Anfang von der Profession stark kritisiert wurde, aber im Laufe der Zeit immer mehr erstaunliche Entdeckungen hervorbrachte und zu einem richtigen Phänomen wurde. Schon von Anfang an erwiesen sich die Sendungen als überraschend interessant, lehrreich und unterhaltsam, weil es der Serie gelungen war, die Brücke zwischen trockener Theorie und lebendiger Praxis zu schlagen.
Time Team hatte seinen Ursprung in der kurzlebigen, sechsteiligen Serie Time Signs, die 1991 von dem früheren Lehrer Tim Taylor zusammen mit Archäologie-Professor Mick Aston produziert worden war und sich auf eine noch recht trockene Art und Weise mit der Geschichte des Wolf Valley in Devon beschäftigt hatte. Die Idee, eine Ausgrabung von einem Fernsehteam begleiten zu lassen, war aber schon Jahre vorher entstanden, als der Schauspieler Tony Robinson in den achtziger Jahren Mick Aston auf einer archäologischen Urlaubsreise getroffen hatte – dadurch wurde der Komiker und Hobby-Archäologe zur ersten Wahl als Moderator für den 1992 produzierten, aber nie gesendeten Pilotfilm einer Serie namens Time Team. Das Ziel war, den Mythos der altmodischen Wissenschaft zu popularisieren, was mit Hilfe von Mick Aston, Feld-Archäologe und Time Signs-Veteran Phil Harding und einer engagierten Gruppe von Experten und Helfern hervorragend gelungen war.
Time Team ging schließlich 1994 in Serie und hat bis heute 241 Episoden hervorgebracht – darunter sind nicht nur die regulären Folgen mit den dreitägigen Ausgrabungen, sondern auch jede Menge Specials, Live-Sendungen und andere Sonderprogramme, die im Laufe der Jahre entstanden waren. Als begeisterter Laien-Archäologe ist Tony Robinson besonders gut als Moderator geeignet und versteht es auf eine intelligente und neugierige Weise dem Team genau die richtigen Fragen zu stellen, ohne dabei die Wissenschaft zu ignorieren. Robinson, der natürlich hauptsächlich in Rowan Atkinsons Blackadder als Baldrick, einer der unintelligentesten Charaktere der Fernsehgeschichte bekannt geworden war, hält trotz seiner Vergangenheit das Niveau sehr hoch, bringt aber auch etwas Humor mit, den die anderen Mitwirkenden oft und gerne teilen.
Die Ausgrabungsorte werden meist von Privatleuten und kleinen Organisationen ausgesucht, die schon einen Verdacht haben, daß sich an einem bestimmten Ort etwas Besonderes befinden könnte. Meistens sind es Felder, Ruinen, aber manchmal auch Gärten und andere Privatgrundstücke von Leuten, die mehr über ihren Grundbesitz wissen wollen und oft erstaunliches erfahren. Die Ergebnisse solch einer dreitägigen Ausgrabung sind manchmal gemischt, aber immer interessant und Tony Robinson weiß die Begeisterung eines solchen Unternehmens wundervoll herüberzubringen. Obwohl die Ausgrabungen hohen wissenschaftlichen Standards unterworfen sind und immer auf ein korrektes archäologisches Prozedere geachtet wird, ist die Stimmung auch trotz des oft auftretendem regnerischen Wetter gut und die manchmal unvermeidbaren Enttäuschungen und Konflikte werden immer mit einem Augenzwinkern hingenommen.
Die Faszination an der Sache ist aber nicht nur von Tony Robinson zu spüren, sondern auch von den Archäologen selbst, die weit davon entfernt sind nur ernste Akademiker zu sein. Herz und Seele des Time Teams sind natürlich die beiden Initiatoren Mick Aston und Phil Harding – der eine ein (inzwischen in den Ruhestand gegangener) Professor mit einer Vorliebe für bunt geringelte Pullover, Angelsachsen und Römer, der andere ein Vollblut-Archäologe mit unverkennbarem Akzent, unverkennbarem Hut und einer Begeisterung für alles, was er mit seinem Spachtel freilegen kann. Öfter dabei ist auch Francis Pryor, der sich hauptsächlich um Bronze- und Eisenzeit-Ausgrabungen kümmert, während Stewart Ainsworth als “Lumps and Bumps”-Man für die Erforschung der Landschaft zuständig ist und manchmal auch Moderne Technik wird von Geophysiker John Gater eingesetzt, der mit seinen Radar-Untersuchungen oft den traditionellen Methoden zur Hilfe kommt, aber auch manchmal Verwirrung unter seinen Kollegen auslöst. Ein Dauergast in den ersten neun Staffeln war auch der leider 2010 verstorbene Historiker Robin Bush, der als alter Freund von Mick Aston an der Entstehung von Time Team mitgewirkt hatte und erst nach fast einem Jahrzehnt Time Team verließ, um an eigenen Fernseh-Projekten zu arbeiten.
Seit 2005 ist auch bei fast allen Ausgrabungen die begeisterte Archäologin und Angelsachsen-Spezialistin Helen Geake dabei, die ihre Vorgängerin Carenza Lewis abgelöst hat, die schon seit der ersten Episode dabei war. Die jüngeren Mitglieder der Ausgrabungs-Crews sind zumeist Frauen, darunter in neueren Episoden Raksha Dave, Faye Simpson und Bridgid Gallhager, die aber auch von einigen männlichen Kollegen wie Matthew Williams – immer bereit für Experimente abseits der eigentlichen Ausgrabungen – oder Mick “The Dig” Worthington unterstützt werden. Schon seit langem kommen viele der Ausgrabungshelfer von der gemeinnützigen Organisation Wessex Archaeology, für die auch Phil Harding arbeitet und die ausführliche wissenschaftliche Berichte von jeder Ausgrabung anfertigt.
Ein besonderes Markenzeichen von Time Team waren schon von Anfang an die digitalen Nachbauten der Ausgrabungen, die von einem kleinen, aber erfahrenen Team von CGI-Spezialisten direkt vor Ort auf Basis der Ausgrabungs-Ergebnisse erstellt werden. Richtig zum Leben erweckt werden die Blicke in die Vergangenheit aber nicht durch Computer, sondern durch die wundervollen Zeichnungen von Illustrator Victor Ambrus, dessen Werke auch oft in 3D-Modelle weiterverarbeitet oder etwas animiert werden. Die Arbeit des Kamerateams ist bemerkenswert flüssig und konzentriert sich nicht nur auf den Blick in die Gräben, sondern setzt auch oft die wunderschöne englische Landschaft in Szene. Hubschrauber-Aufnahmen sind nicht selten und ein Blick aus der Vogelperspektive des Ausgrabungsorts gehört immer dazu. Karten werden nicht einfach aus Google Earth entnommen, sondern haben ein ganz eigenes Design, das Hand in Hand mit der gelungenen grafischen Gestaltung von Time Team geht.
Trotz aller Vorurteile über die Wissenschaft der Archäologie kann man Time Team einen hohen Unterhaltungsfaktor bescheinigen, bei dem man gleichzeitig eine ganze Menge über die Geschichte Englands (und gelegentlich auch anderen Orten) lernen kann. Time Team ist kein Schulfernsehen und auch kein billig produziertes Reality-TV, sondern eine brilliante Dokumentation, die mit ihrer begeisterten Art und der engagierten Präsentation deutlich auf den Pfaden von David Attenborough wandelt und nicht zuletzt dadurch von einem Nischenprodukt zu einem britischen Fernseh-Phänomen geworden ist.
Time Team wird vom britischen Privatsender Channel 4 ausgestrahlt und ist dort im Moment beim Wiederholungssender More4 zu sehen. Mittwochs um 22 Uhr (deutsche Zeiten!) wird eine Wiederholung einer aktuellen Episode gesendet, danach folgt meist ein Time Team Special. Samstags Vormittags ab 10 Uhr laufen außerdem weiter Wiederholungen, meist vier oder fünf Episoden hintereinander. Derzeit laufen größtenteils Wiederholungen der neuesten Staffel 18, die im Frühjahr das erste Mal gesendet wurde. Erstausstrahlungen laufen beim Hauptsender Channel 4 meist Montags um 20 Uhr, neue Episoden gibt es aber erst wieder Anfang 2011.
Die Sender sind auch in Deutschland über den Astra2-Satelliten auf der Position 28.2° unverschlüsselt empfangbar – alles was man braucht, ist einen einigermaßen freien Blick nach Süden, eine halbwegs große Satellitenschüssel (60cm reichen völlig aus) und einen digitalen DVB-Satellitenreceiver. Und man benötigt natürlich erweiterte Englischkenntnisse, denn bis nach Deutschland hat es Time Team nur 2008 einmal kurz im Pay-TV-Sender Discovery Geschichte geschafft und durch eine Synchronisation oder ein deutsches Voiceover würde sowieso ein großer Teil des Charmes der Serie verloren gehen.
Leider ist Time Team trotz des riesigen Archivs auf DVD nur sehr unvollständig erschienen – es gibt in England eine kleine handvoll Best-Of-Sammlungen, aber sonst kaum etwas. Es sind allerdings einige interessante Begleitbücher wie The Time Team Guide to the Archaeological Sites of Britain and Ireland, The Ultimate Time Team Companion: An Alternative History of Britain und einige andere veröffentlicht worden.
Weitere Links zu Time Team:
• Time Team Digital – die neue offizielle Time Team-Webseite mit Videos, Blog und mehr
• Offizieller Twitter-Stream – hier werden hauptsächlich Facebook-Einträge gespiegelt
• Offizielle Facebook-Seite – hier schreibt u.a. Tim Taylor
• Time Team bei Channel 4 – Webseite des Fernsehsenders
• Time Team-Blog von Wessex Archaeology
• Ausgrabungs-Reporte von 2003-2010