Oscars 2008 – Nachlese
Nachdem ich im letzten Jahr die Oscar-Verleihungen fast ignoriert hatte, habe ich das jetzt mal ausführlich nachgeholt und mir die Show diesmal komplett angeschaut. Mit einigen meiner Vermutungen lag ich ganz richtig, mit anderen lag ich aber auch ganz daneben. Eine Vorhersage war aber korrekt: es ist eine wirklich gute Show in diesem Jahr geworden – dank Jon Stewart und vielen Schauspielern und Filmemachern, die daraus mehr gemacht haben als nur eine gegenseitige Beweihräucherung.
Die Show
Kein großes Feuerwerk, kein riesiges Spektakel. Die achtzigsten Academy Awards waren eine überraschend zurückhaltende und fast schon traditionelle Angelegenheit, die der Spiegel das Methusalem-Bankrott und die Washington Post Dark Victory at the Oscars nannte. So fragte Jon Stewart gleich zu Beginn anspielend auf die düstere Atmosphäre von vielen der nominierten Filme “Does this town need a hug?”
Ganz so düster war die Show dann allerdings doch nicht. Das Bühnenbild im Kodak Theater war schlicht, aber elegant und ohne großen Pomp gestaltet und die Stimmung bewegte sich zwischen bissigem Humor, ehrfurchtsvoller Bewunderung und großer Freude. Jon Stewart hat wieder einmal bewiesen, daß er nicht nur einfach der Funnyman sein kann, sondern auch ein seriöser Gastgeber sein kann. Es war nicht die Daily Show at the Oscars, aber trotzdem sehr amüsant, unterhaltsam und auch satirisch – mehr als in den Jahren zuvor hatten die Filmemacher und Schauspieler den Mut, sich auch selbst auf den Arm zu nehmen.
Etwas irritierend erwies sich jedoch die rigorose Zeitbegrenzung der Danksagungen, denn manche Schauspieler und Filmemacher wurden geradezu vom Orchester von der Bühne gescheucht und die Musikerin Marketa Irglova bekam nach ihrem Partner Glenn Hansard erst gar keine Gelegenheit etwas zu sagen – das wurde fairerweise durch eine Intervention von Jon Stewart wieder gutgemacht, als sie nach einer kurzen Pause noch einmal zurück auf die Bühne geholt wurde. Die Kürze der Dankesreden hat allerdings auch dazu geführt, daß schon nach dreieinhalb Stunden alles vorbei war – die Zeiten der vierstündigen Oscar-Verleihung sind wohl nun entgültig vorbei.
So kurz wie die Danksagungen waren, so lang schienen diesmal die Filmmontagen zu sein – so lang, daß Jon Stewart sich mit seinem Team daraus einen Gag machte und zwei witzige Parodien produziert hat. Die eigentlichen Montagen erwiesen sich dann jedoch als völlig unspektakulär, langatmig und waren eigentlich nicht mehr als hastig aneinander gereihte Filmclips. Das hätte man noch viel besser machen können, aber vielleicht blieb nach dem Autorenstreik einfach keine Zeit mehr etwas aufwendigeres zu realisieren.
Die besten Schauspieler und Filmemacher
Damit hatte keiner wirklich gerechnet: Joel und Ethan Coen räumten mit ihrem wortkargen Thriller No Country for Old Men gleich vier Preise für den besten Film, die beste Regie und das beste Drehbuch ab und Javier Bardem bekam für die Rolle des psychotischen Killers auch noch den Oscar als bester Nebendarsteller. Die Coens blieben aber fast die einzigen multiplen Gewinner des Abends, mit der Ausnahme des Malen-nach-Zahlen-Actionfilms The Bourne Ultimatum, der mit den drei technischen Kategorien Filmschnitt, Tonschnitt und Tonmischung ausgezeichnet wurde.
Überraschend war dann auch die relativ breite Verteilung der Preise, die vielen Produktionen eine Chance gab etwas zu gewinnen. Als bester Hauptdarsteller konnte sich erwartungsgemäß Daniel Day-Lewis als manischer Ölbaron in Paul Thomas Andersons There will be Blood gegen Johnny Depp, Tommy Lee Jones, Viggo Mortensen und George Cloony durchsetzen, während als beste Schauspielerin tatsächlich Marion Cotillard für ihre Rolle als Edith Piaf in La Vie en Rose gewann und damit Cate Blanchett (die leider für ihre beiden Nominierungen als Haupt- und Nebenrolle leer ausging), Julie Christie, Laura Linney und Ellen Page ausstach.
Bei den besten Nebendarstellern gewann Javier Bardem gegen Casey Affleck im Neo-Western The Assassination of Jesse James… , Philip Seymour Hoffmann (der 2005 für Capote bereits den Oscar als bester Hauptdarsteller bekam) in Charlie Wilson’s War, Tom Wilkinson in Michael Clayton und Hal Holbrook in Into the Wild. Erstaunlich war allerdings die Wahl der Academy für die beste Nebendarstellerin – die Favoriten Cate Blanchett und Ruby Dee verloren gegen Tilda Swintons skrupellose Anwältin in Michael Clayton, eine Rolle die der Schauspielerin ihren ersten Academy Award brachte.
Drehbücher und Trickfilme
Die Auszeichnung für das beste Original-Drehbuch war eine der größten Überraschungen des Abends – daß die Academy ausgerechnet der unkonventionellen Ex-Stripperin Diablo Cody einen Oscar für ihr Teen-Schwangerschafts-Drama Juno gab, ist schon mutig, aber angesichts der Alternativen wie Tony Gilroys dichter Justizthriller Michael Clayton oder Brad Birds ausgefeilter CGI-Trickfilm Ratatouille schon etwas merkwürdig. Nicht ganz unerwartet kam dagegen die Auszeichnung für das beste adaptierte Drehbuch, die an Joel und Ethan Coen ging und damit Christopher Hamptons Atonement, Sarah Polleys Away from Her, Ronald Harwoods The Diving Bell and the Butterfly und Paul Thomas Andersons There will be Blood leer ausgehen ließ.
Als bester Trickfilm wurde erwartungsgemäß Ratatouille ausgezeichnet, der aber dafür in seinen anderen nominierten Kategorien für bestes Drehbuch, besten Soundschnitt und Soundmix nicht gewann. Der sichtlich aufgeregte Brad Bird vergaß noch nicht einmal Jan Pinkava, dem ursprünglichen Regisseur des Films zu danken – erstaunlicherweise saß dieser mit im Publikum, kam aber leider nicht mit auf die Bühne. Während der minimalistische Stil von Persepolis vielleicht auch eine Auszeichnung verdient hätte, ist kaum zu verstehen warum eine Durchschnittsware wie Happy Surfer überhaupt nominiert werden konnte und der Simpsons-Kinofilm erst gar nicht in betracht gezogen wurde.
Der beste animierte Kurzfilm wurde von Jerry Seinfeld als Biene aus Dreamworks’ Bee Movie an die britisch-norwegisch-polnische Coproduktion Peter and the Wolf von Suzie Templeton verliehen, deren Stopmotion-Animation auf Sergei Prokofievs musikalischem Märchen basiert. Als bester Real-Kurzfilm wurde die kleine französische Komödie Le Mozart des Pickpockets von Philippe Pollet-Villard ausgezeichnet, einer der wenigen lustigen und amüsanten Filme der diesjährigen Academy Awards.
Die Leute hinter der Kamera
Den Oscar für die beste Kameraarbeit gewann Robert Elswith für There will be Blood, während der für The Assassination of Jesse James… und No Country for Old Men doppelt nominierte Roger Deakins leer ausging – auch Seamus McGarvey mit Atonement und Janusz Kaminski mit The Diving Bell and the Butterfly waren erfolglos. Für den besten Filmschnitt wurde die Arbeit von Christopher Rouse an The Bourne Ultimatum ausgezeichnet, was allerdings mehr wie eine typische technische Belohnung aussieht, zu der die Academy auch früher schon oft neigte.
Tim Burtons Sweeney Todd ging nicht völlig leer aus, denn obwohl weder Johnny Depp als Hauptdarsteller noch Coleen Atwood für das Kostümdesign etwas bekamen, wurde wenigstens das italienische Designer-Ehepaar Dante Ferretti und Francesca Lo Schiavo für das beste Produktionsdesign ausgezeichnet und damit gegen die starke Konkurrenz von American Gangster, Atonement, The Golden Compass und There will be Blood gewinnen konnte. Für das beste Kostümdesign wurde Alexandra Bryne für den sonst kaum positiv beachteten Elizabeth: The Golden Age ausgezeichnet.
Dokumentationen
Bei den Dokumentarfilmen wurde es wie erwartet hochpolitisch, denn obwohl die Academy nicht Charles Fergusons No End in Sight über die US-Invasion in den Iran auszeichnete, bekam dann doch Taxi to the Dark Side, Alex Gibneys Dokumentation über den Tod eines afghanischen Taxifahrers in amerikanischer Gefangenschaft einen Oscar, während unter anderem Michael Moores Sicko sich nicht durchsetzen konnte.
Der Oscar für den besten Dokumentar-Kurzfilm wurde auf eine merkwürdig patriotische Art in einer Liveschaltung nach Bagdad von einer Gruppe von US-Soldaten verliehen und ging an Cynthia Wades und Vanessa Roths Freeheld, eine Dokumentation über eine unheilbar erkrankte amerikanische Polizistin, die dafür kämpfte ihrer Lebenspartnerin eine Rente zu ermöglichen.
Musik, Ton und Effekte
Musikalisch war die 80. Oscar-Verleihung bis auf eine Ausnahme enttäuschend. Bill Conti sorgte zwar wie immer für eine schwungvolle Live-Orchesterbegleitung, die diesmal auch von den Kameras und sogar Jon Stewart entsprechend gewürdigt wurde, aber gleich drei kinderliedartige Musiknummern aus dem Disney-Fließbandprodukt Enchanted und eine gewaltige, aber melodielose Gospel-Nummer aus August Rush waren einfach zuviel des guten. Eine wohltuende Erholung war dagegen Falling Slowly, das schöne Duett von Glen Hansard und Marketa Irglova aus dem Musiker-Film Once – die dann auch prompt den Oscar für den besten Song gewannen.
Bei der Auszeichnung für die beste Filmmusik scheint der Generationenwechsel der Komponisten nun entgültig vollzogen zu sein, denn nun sind fast ausschließlich die Nachwuchstalente nominiert worden: Dario Marianelli, Alberto Iglesias, James Newton Howard, Michael Giaccino und Marco Beltrami sind noch relative Newcomer, haben aber in den letzten Jahren die Filmmusik-Branche fest im Griff. Dario Marianelli war aber derjenige, der die Academy mit seiner klassischen, klavierlastigen Score für Atonement diesmal am besten überzeugen konnte.
Die Oscars für Tonschnitt und Tonabmischungen gingen überraschenderweise an The Bourne Ultimatum, einen handelsüblichen Actionfilm der dieses Jahr damit insgesamt drei Auszeichnungen bekam – warum die anderen Filme, darunter auch eine jeweils doppelte Nominierung für No Country for Old Men und Ratatouille, komplett ignoriert wurden, ist eine der wenigen Seltsamkeiten der diesjährigen Oscar-Verleihungen. Genauso erstaunlich ist die Vergabe der Auszeichnung für die besten Visual Effects an den Fantasy-Film The Golden Compass – da fragt man sich, ob die Academy-Mitglieder die nahtlos in den Film integrierten Effekte des dritten Pirates of the Caribbean überhaupt als solche erkannt haben.
Ehrenoscar & Finale
Der Ehrenoscar ging in diesem Jahr an eine Koryphäe der Filmgeschichte, den Produktionsdesigner Robert F. Boyle. In seiner fünfzig Jahre andauernden Karriere hatte er nicht nur mit Alfred Hitchcock, sondern mit noch vielen anderen erfolgreichen Filmemachern zusammengearbeitet, aber nie einen Oscar für seine bemerkenswerten Arbeiten bekommen. Das hat die Academy in diesem Jahr nachgeholt und dem 98-jährigen den Oscar für sein Lebenswerk verliehen – Robert F. Boyle hat sich trotz seines hohen Alters dafür höchstpersönlich mit einer bemerkenswerten Rede dafür bedanken können.
Nachdem der letzte Preis für den besten Film vergeben war – und die Coen-Brüder noch hinter der Bühne standen und zu ihrem großen erstaunen noch ein zweites Mal raus mußten – wurde die Show wie üblich ziemlich schnell beendet. Es reichte gerade noch für ein kurzes Schlußwort von Jon Stewart und dann rollte auch schon der Abspann – ein heftiger, abrupter Schluß für eine eigentlich sonst sehr elegante und gut ausgewogene Show. Jon Stewart, der nach seinem letzten Auftritt 2005 noch einige Kritik einstecken mußte, ist nun mit seinem besonderen Humor noch treffsicherer geworden. Er konnte sich als einer der besten Oscar-Gastgeber der letzten Jahre etablieren und wird hoffentlich noch öfter von der Academy eingeladen werden.
Enttäuschend war aber wie immer die Übertragung von Pro7 – obwohl die Oscar-Verleihung schon seit ein paar Jahren in HDTV und 16:9 produziert wird, bekommen wir hier in Deutschland immer noch die unscharfe, schlecht normgewandelte 4:3-Version zu sehen. Immerhin hat Pro7 die deutsche Studio-Moderation in den Werbepausen aufgegeben und dieses Jahr sogar die Werbeblöcke so eingesetzt, daß von der Übertragung nichts fehlte.
Fazit
No Country for Old Men anschauen (US-DVD erscheint am 11. März)
There will be Blood anschauen (US-DVD mit unklarem Erscheinungsdatum)
Michael Clayton anschauen (US-DVD ist schon erschienen)
Sweeny Todd anschauen (US-DVD erscheint am 1. April)